Stellungnahme der bukof: Doppelpunkt oder Sternchen? Zur Frage der Barrierearmut einer gendersensiblen Sprache
Geschlechtervielfalt wird in der gesprochenen und geschriebenen Sprache zunehmend sensibel, inklusiv und akkurat sichtbar gemacht. Das Gendersternchen hat binäre Varianten, aber auch den Unterstrich abgelöst. Gleichzeitig erfährt in letzter Zeit der Doppelpunkt auch in Hochschule und Wissenschaft viel Zuspruch. Zu finden ist er in Beschlüssen zu gendersensibler Sprache von Institutionen, in sozialen Netzwerken, Arbeitsmails und sogar in der Werbung und in Anschreiben von Unternehmen. Als bukof begrüßen wir eine stärkere gesellschaftliche Verankerung gendersensibler Sprache. Der Verwendung des Doppelpunkts stehen wir allerdings kritisch gegenüber.
Seinen Anfang nahm der Doppelpunkt beim Fusion Festival 2015. Seitdem setzt er sich zunehmend gegen das Gendersternchen durch. Als stärkstes Argument für den Doppelpunkt wird das Ziel der Inklusion ins Feld geführt. Der Doppelpunkt sei barriereärmer, da für Personen mit Sehbehinderung einfacher lesbar sowie besser begreifbar für Vorleseprogramme (Screenreader) von blinden und sehbehinderten Menschen. Träfe dies zu, hätte das ein starkes Gewicht. Inklusion als Leitziel muss in allen Institutionen durchgesetzt und gefördert werden. Jedoch lässt sich dieses Argument schnell entkräften. Die Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik hat 2021 eine Studie durchgeführt. Hier wurde auf mehreren Ebenen die Verwendung von Doppelpunkt und Sternchen abgewogen und verglichen. Auf der technischen Ebene wurden Jaws und NVDA, die beiden gängigsten Vorleseprogramme, auf die Verwendung von Doppelpunkt und Sternchen überprüft. Es zeigte sich, dass die Ergebnisse bei beiden Programmen gleich waren. Der Doppelpunkt ist also bezogen auf Lesebarrieren nicht inklusiver als das Sternchen.
Auch der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) spricht sich gegen den Doppelpunkt sowie andere Formen gendersensibler Sprache mithilfe von Satzzeichen aus. Der DBSV erkennt jedoch auch die gesellschaftliche Relevanz gendersensibler Sprache und der Inklusion von Geschlechtervielfalt an. Sollte sich deshalb für das Gendern mit Satzzeichen entschieden werden, empfiehlt der Verband die Verwendung des Gendersternchens, da es einem Konsenszeichen, also dem Zeichen, das von den meisten Personen gekannt und verwendet wird, am nächsten komme.
Diese Schlussfolgerung entspricht den Erkenntnissen, die für die Studie der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik gewonnen wurden. In einer Befragung von diversen Betroffenenvertretungen zeigte sich, dass das Sternchen am bekanntesten war und am meisten unterstützt wurde. Die Ausbreitung des Doppelpunkts ist somit kein Fortschritt für die Inklusion sehbehinderter oder blinder Menschen, sondern lässt sogar ihre Anliegen und Empfehlungen unberücksichtigt.
Was spricht somit für das Gendersternchen? Das Sternchen kann als Konsenszeichen auf der Basis eines langen Aushandlungsprozesses gesehen werden. Es hat sich durchgesetzt gegen Doppelnennungen und Binnen-I, welche zwar Frauen grammatikalisch sichtbar machten, jedoch nicht die sprachliche Binarität von Geschlecht aufbrachen. Es setzte sich auch durch gegen Schrägstrich und Unterstrich. Es tat dies, weil es Sinn machte für jene, die sich mit Geschlecht, Sprache und Symbolik beschäftigten. Das Sternchen ist entlehnt aus der Informatik. Dort fungiert es als Platzhalter für beliebige Zeichenketten. Trans*- Communities, erst im englischsprachigen und dann auch im deutschsprachigen Raum, benutzten es, um trans* (transsexuell, transgender) abzukürzen und später, um diverse gender-queere Identitäten einzubeziehen. Das Sternchen wurde gewählt von jenen, die es repräsentieren sollte und es wurde gewählt, weil es symbolisch auch in anderen Kontexten eine sinnverwandte Bedeutung hat: die Unendlichkeit der Möglichkeiten. Gedeutet wird es darüber hinaus auch als eine Vielfach-Kreuzung von verschiedenen Achsen der Diversität, die sich in jeder Person abbilden, also als Symbol eines intersektionalen Geschlechterverständnisses.
Auf die Verwendung des Doppelpunkts angesprochen führen viele auch die Ästhetik ins Feld. Der Doppelpunkt passe sich mehr ins Schriftbild ein; ja, er verschwinde fast im Wort, das sei ansprechender. Aber sollte ein Satzzeichen, dass für das Gendern steht, diese Funktion erfüllen? Das Sternchen dagegen gilt als störend. Es bricht Wörter auf, lässt das Auge innehalten und bringt vor allem jene, die es nicht gewohnt sind, zum Stutzen. Gendern ist eine Form sprachlicher Inklusion, um Geschlechtervielfalt abzubilden und Frauen, sowie jene Personen jenseits der bis heute stetig reproduzierten Geschlechterbinarität zu repräsentieren. Somit ist das Gendern auch eine politische Praxis. Stören, aufrütteln, nachdenklich machen. Wenn sich die Praxis einfach ignorieren lässt, geht der Effekt verloren. Und auch für sehbehinderte Menschen ist das “Verschwinden” kontraproduktiv. Zu leicht gleicht ein Doppelpunkt mitten im Wort einem kleinen ‘i’.
Die Verbreitung des Doppelpunkts scheint Ausdruck einer Kultur zu sein, die es gut meint, die jedoch eine Auseinandersetzung mit Betroffenen-Perspektiven und verifizierbaren Argumenten vermissen lässt. Barrieren reichen tief und lassen sich nicht durch die Verwendung eines spezifischen Satzzeichens abbauen. Was fehlt, sind beispielsweise bessere Vorleseprogramme. Vorleseprogramme, bei denen Geschlechtervielfalt bereits in der Entwicklung mitgedacht und einprogrammiert wird. Hierfür braucht es politischen und gesellschaftlichen Willen. Inklusion ist ein gesellschaftliches Projekt. Student*innen, Forscher*innen, Mitarbeiter*innen und Hochschulleitungen müssen sie auf eine Art und Weise vorantreiben, in der die Bedürfnisse verschiedener marginalisierter und diskriminierter Gruppen nicht gegeneinander aufgewogen werden.
Die bukof spricht sich deshalb für die Sichtbarkeit von Geschlechtervielfalt und die Teilhabe von allen sehbehinderten und blinden Personen am gesellschaftlichen und am hochschulischen Leben aus. Deswegen plädieren wir mit Nachdruck für die Verwendung des Gendersternchens, ein sprachliches Mittel, das alle Menschen einschließt.